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Euphorie. Gemäss Etymologie «Hochstimmung, Gefühl gesteigerten Wohlbefindens». Ein schöner Zustand ausgelöst durch die anhaltende Aktivität in einer speziellen Gehirnregion. Während die einen auf farbenfrohe Opiate vertrauen, versuchen sich andere in Extremsituationen, um dieses Gefühl mehr oder wenig natürlich hervorzurufen. Und dann gibt’s uns. Unser Dealer war Baby-Rose und unsere Droge ein Bettgitter. Ausgelöst hat es pure Euphorie. Alles Kauderwelsch! Deshalb von vorne und der Reihe nach: Um als Eltern euphorisch zu werden, braucht es weder Drogen noch Extremsituationen. Kleinigkeiten können wortwörtlich im Kleinen Grosses bewirken. Die Hintergründe zu den «Nucleus accumbens-Stimulierer» – ja, genau so heisst das Ding im Zerebrum – ein Bettgitter, eine Verdauungsproblemüberwindung und eine Drehung.

Mit dem kleinen Jaro wurde unser Teilzeit-Katzenfamilienbett zum Vollzeit-Menschenfamilienbett. Seit der ersten Nacht schläft liegt er zwischen zwei menschlichen Heiz- und Kuschelkörpern. Er liebt es (?) und wir lieben es. So oder so sind wir seit jeher zwei kuschelbedürftige Einschläfer. Kategorie Menschendecke. Nach den ersten fünf Minuten gehen wir dann aber auch vielfach wieder unsere eigenen Einschlafwege. Gewohnheitstiere eben. Wie oben angetönt, verhinderte unser mittige Sohnemann aber das übliche, harmonische Einschlafen. Eigentlich schlafen generell – ist aber ein anderes Thema. Also entwickelten wir in den letzten Monaten unser ganz individuelles Einschlafsystem genannt «V». Während wir die Köpfe und die Oberkörper möglichst weit voneinander platzierten, um dem Junior ein möglichst sicheres Schlaferlebnis zu bieten, ermöglichten wir uns ein wunderbares Füsschenhalten. Leider erhielt dieses ausgeklügelte Einschlafsystem dann ziemlich rasch das Prädikat «nicht so cool». So gingen wir dann wieder distanziertere Einschlafwege. Distanz ist aktuell ja sowieso vernünftig. Der Familienharmonie zu liebe, machten wir uns dann aber trotzdem auf die Suche nach Lösungen für die Jaro-bedingte Distanzproblematik. Nach intensiven Argumentationsrunden zu alternativen Schlafszenarien entschieden wir uns für ein Bettgitter. Da der erste Installationsversuch aber grandios scheiterte und wir uns aufgrund unseres Unvermögens gezwungen sahen, das Gitter mit der Erklärung «geht bei unserem Bett nicht» zurückzugeben, zog sich das Ganze ein bisschen in die Länge. Der zweite Kauf (zum guten Glück gibt es zwei Baby-Rose in der Nähe!) und die anschliessende Installation waren dann ein Erfolg auf der ganzen Linie. Und wenn wir schon bei Linien sind: Bereits beim ersten Nicht-V-Einschlafen kürten wir das Bettgitter zu unserer persönlichen Euphorie auslösenden Droge. Das uns vertraute Einschlafszenario war (fast) wieder hergestellt: Papi, Mami und dann Jaro. Hallo, euphorisches Einschlafen. Jedenfalls in der ersten Nacht. In der Nacht darauf fehlte mir dann irgendwie wieder das «Hämpfeli» in der Mitte. Hans im Schnäggeloch eben!

Kleinigkeiten bewirken Grosses. Vor ein paar Wochen lief das bei uns auch irgendwie so. Leider wurden die Kleinigkeiten aber immer grösser. Und wollten nicht mehr raus. In anderen Worten: Jaro hatte Verdauungsprobleme. Über eine Woche schenkte er uns keine farbenfrohen Windeln. Eine Woche! Bei einem Stillbaby kann das angeblich vorkommen und sei nicht besorgniserregend. In Anbetracht der persönlichen Erfahrungen als fleissige Stuhlgänger konnten wir uns das einwöchige Ausbleiben der Egestion beim besten Willen nicht vorstellen und litten regelrecht mit. Kleiner Einschub: Wieso darf man bei Babys von Gagi reden und muss sich bei Erwachsenen mit seriös anmutenden Fachbegriffen herumschlagen? Auch «bisle», «fürzle» und «chötzle» wird ziemlich bald einmal nicht mehr mit «Jöö» sondern mit «Iih» goutiert. Unerklärlich. Zurück zum aufgeblähten Jüngling: Von Tag zu Tag wurde unser gedankliches und verbales Mitdrücken intensiver. Leider nur mit mässigem Erfolg. Am siebten gagilosen Tag hörten wir dann endlich kein «Jöö»-Fürzli sondern ein «Wäh»-Furz mit anschliessender einschlägigen Geräuschkulisse. Und da war sie wieder, die Euphorie. Endlich! Auch wenn es schwierig war trotz fortgeschrittenem Milchsäuregärungsprozess die Euphorie am Wickeltisch beizubehalten, blieb die Hochstimmung. Eltern gehen ja mit dem Nachwuchs durch dick und dünn. Aber Hand aufs Herz: das war schon nicht mehr Frühlingswiese. Obschon ich als gestankserprobter Bauernsohn und diplomierter Katzengagi- und Kompostentsorger schon einiges durch die Nasenhöhlen zirkulieren liess, war das ein neues Level. Läck Bobby, hatte ich da plötzlich ein ziemlich nervöses Halszäpfchen. Ging aber alles gut – wahrscheinlich dank der Euophorie. Mit bewusstem Mundatmungstraining bereite ich mich nun auf die noch (!) geschmacksintensivere Beikost vor.

Von einer Kost zur anderen Kost: Als sportbegeisterter TV-Konsument sind für mich Spiele der Marke «magere Kost» absolut verpönt. Und leider springt der Funke zurzeit bei keinen Live-Events in die Stube über. Will aber nicht heissen, dass wenn meine Stimmbänder vor dem TV geschont werden, sie nicht anderweitig akut strapaziert werden. An jenem Abend erreichte mein Jubelschrei locker das Level eines erfolgreichen Federer-Grandslam-Matchballs. Oder als Verfechter der inflationären Nutzung von Redensarten ausgedrückt: Ich habe mir die Kehle aus dem Hals geschrien. Das war aber noch nicht das ganze Orchester. Meine liebe Frau mit temperamentvoller süditalienischer Leidenschaft kann ihre Freude auch ziemlich atem- und vor allem ohrenbetäubend zum Ausdruck bringen. Wer es nicht glaubt, kann gerne beim Spital Thun nachfragen. Dort veranlassten geräuschempfindliche Ärzte tatsächlich, dass die Fenster im Gebärsaal vier doch umgehend geschlossen werden sollen. Und der Jubelschrei kommt bei ihr fast an den Gebärschrei heran. Auslöser der alltäglichen Euphorie? Na klar, der Junior. Und wie hat er das geschafft? Eine halbe Drehung! Die erste! Punktlandung! Stilnote? Eine glatte Zehn! So setzten wir also zur heimischen La-Ola-Stubenwelle an. Wie gesagt, es sind die Kleinigkeiten, die grosse Euphorie auslösen. Die Euphorie ist übrigens – wenn auch ein bisschen anders – ansteckend. Der ein Holzboden entfernte und die abendliche Ruhe geniessende Grossvater sprang bestimmt auch (euphorisch?) aus dem Sessel. Tags darauf fragte er uns jedenfalls mit einem gewohnt neckischen Unterton, ob Jaro nun bereits den Salto könne.

2 Comments

  1. Lionel Messenger
    9. November 2020 @ 9:35

    Obwohl die Geruschszellen bereits Ehrenmitglied bei Dignitas sind, wird eine durchdringende Flatulenz eines Säuglings immer verharmlost. Unverständlich oder? 😂
    Auch der schweizer Diminuitiv – immer wieder schön zu lesen. Wie immer auch eine sensationell bildliche Unterstützung des Posts <3

    Reply

    • JWundEltern
      10. November 2020 @ 17:39

      Es ist und bleibt unverständlich 💩🤭 Und ja, ohne bildliche Unterstützung wären die Beiträge kaum leserlich 🖌

      Reply

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